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Proudhon, Gesell, Feder, Marx und die regressive Kapitalismuskritik

Gastbeitrag von fidelche

Das 17. Jahrhundert nannte man in den Niederlanden wegen der wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit, das »Goldene Zeitalter«. Mit steigendem Wohlstand wurden die erst kürzlich aus der Türkei importierten Tulpen unter den wohlhabenden Niederländern immer beliebter. Seltene Sorten erzielten hohe Preise. Eine Zwiebel der Sorte Semper Augustus erzielte 1624 einen Preis von 1.200 Gulden. Man konnte sich somit mit einer Zwiebeltulpe in Amsterdam ein Haus kaufen. Die Nachfrage aus ganz Europa war größer als das Angebot. Der anschließende Boom wurde mit Krediten finanziert. Mit der Zeit gingen keine Tulpen mehr über den Warentisch. Es wurden nur noch Tulpenwertpapiere getauscht. Am Höhepunkt des Booms kostete die Semper Augustus 6000 Gulden. Im Februar 1637 kam es zum Crash. Die Tulpenpreise fielen ins Bodenlose. Die wertlosen Tulpenscheine wurden in Staatsanleihen umgetauscht. Das Wort Globalisierung oder Finanzhaie dürfte es damals nicht gegeben haben.

Später im 19. Jahrhundert wollte der Anarchist und Frühsozialist Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865)  den Kapitalismus abschaffen, zugunsten einer „wirklichen Marktwirtschaft“ mit Äquivalententausch. Proudhon sah in der Herrschaft des Zinses das größte Übel des Kapitalismus. Gäbe es das zinstragende Kapital nicht mehr, so dachte Proudhon, dann gäbe es auch keinen Kapitalismus mehr. Deshalb wollte er ein nicht verleih- und verzinsbares „Arbeitsgeld“ einführen. Die entsprechende Abschaffung des Zinses hatte antisemitische Vorstellungen zur Konsequenz, die Proudhon in seinen  Texten zur »Tauschbank«  beschrieb. 1849 versuchte Proudhon mit der Gründung einer „Volksbank“, mit zinslosen Krediten, sein Reformprogramm in die Praxis umzusetzen. Proudhon‘s Antisemitismus sah in den Juden die wichtigste Quelle für das Unglück der Nation. Sein Rassismus kam zudem in der Beschreibung Schwarzer als minderwertige Rasse zum Ausdruck.  Proudhon hatte großen Einfluss auf Georges Sorel, den Vordenker des Syndikalismus. Auf Sorel wiederum beriefen sich viele Intellektuelle des Leninismus als auch des revolutionären Syndikalismus, von denen einige zum Faschismus übertraten. Auf die Frage, welchem von seinen Lehrmeistern er am meisten verdanke, nannte der ehemalige Sozialist Benito Mussolini, Sorel.

Ebenfalls auf  die Theorien Proudhons bezog sich Silvio Gesell (1862- 1920). Seine Wirtschaftstheorie, die er in seinem 1911 erschienen Hauptwerk „Die natürliche Wirtschaftsordnung“ niederschrieb, sieht die Lösung der kapitalistischen Probleme in der Abschaffung des Zinses mittels Schwundgeld und Tauschkreisen.  Der „Kurz-Teilnehmer“ der Münchner Räterepublik, Gesell, propagierte in seiner Freiland Theorie Menschenzucht. Frauen haben sich, laut Gesell, dem unterzuordnen, Verhütung ist schlecht, weil es dann an menschlichem „Auslesematerial“ mangelt.Mit der Einführung eines „Schwundgeldes“ wollte Gesell verhindern, dass Geld gehortet und Zins abgeschöpft wird. Das Geld verliert ständig an Wert und muss dadurch ausgegeben werden, heizt also die Wirtschaft an. Gesell kritisiert ausschließlich den Geldkreislauf (raffendes Kapital), die Produktion, das „schaffende Kapital“ ist im Gegensatz dazu für ihn positiv besetzt. „Der Chiemgauer“ ist Schwundgeld, mit dem im Chiemgau (Oberbayern), seit einigen Jahren in bestimmten Läden die Ware bezahlt werden kann. Die regionalen Betriebe sollen mit dem Regionalgeld gefördert werden. Die Herausgeber (Waldorfschule Prien) des Chiemgauers beziehen sich explizit auf Silvio Gesells Freigeld-Theorie. Unterstützt wird die Schwundgeld/Regionalgeld-Theorie zudem von Globalisierungskritikern aus „Attac“.

Gottfried Feder (1883-1941), Wortführer der NSDAP Wirtschaftpolitik,  schrieb 1927 deren 25 Punkte Grundsatzprogramm, welches bis 1945 Gültigkeit hatte. In dieser Schrift steht auszugsweise: „Die Wirtschaft, ob groß oder klein, Schwerindustrie oder Kleingewerbetreibender, kennen nur ein Ziel: „Profit“, sie haben nur eine Sehnsucht: „Kredit“, nur eine Aufwallung: die „gegen die Steuern“, nur eine Furcht und namenlose Hochachtung: die „vor den Banken“ und nur ein überlegenes Achselzucken über die nationalsozialistischen Forderung der „Brechung der Zinsknechtschaft“. Alle drängen sich danach, „Schulden zu machen“. Die maßlosen Wuchergewinne der Banken, die ohne Müh und Arbeit, als Tribut vom Leihkapital erpresst werden, findet man durchaus in der Ordnung. Man gründet eigene „Wirtschaftsparteien“ und stimmt für die Dawesgesetze, die die Grundursache für die maßlosen Steuerlasten sind. Man stürzt sich in tiefe Zinsknechtschaft, schimpft über Steuern und Zinsen und erstirbt vor Hochachtung vor jedem Bankier und Börsenpriaten. Verwirrt sind die Hirne! Die Ganze Wirtschaft ist entedelt, entpersönlicht, in Aktiengesellschaften umgewandelt worden. Die Schaffenden haben sich selbst ihren größten Feinden in die Hände gegeben, dem Finanzkapital. Tief verschuldet, bleibt den Werteschaffenden in Werkstatt, Fabrik und Kontor nur karger Lohn, jeder Gewinn der Arbeit fließt in die Taschen der anonymen Geldmacht als Zins und Dividende.“ Die NSDAP unterschied bekanntlich zwischen gutem „schaffenden und bösem raffenden Kapital“. Das böse „raffende Kapital“ war bei der NSDAP das „internationale Finanzjudentum“.

Karl Marx (1818 – 1883) kritisierte die auf das „zinstragende Kapital“ verkürzte „Kapitalismustheorie“ Proudhons vernichtend und machte ihn dabei lächerlich. Die Kritik von Marx bezog sich auf das hochkonzentrierte Produktionskapital selbst und damit die kapitalistische Produktionsweise als solche. Aus der Entwicklung der Produktivkräfte und der Akkumulation des Kapitals ergeben sich im industriellen Kapitalismus Widersprüche, die die Tendenz zum zyklischen und überzyklischen Fall der Profitrate bedingen.
Im Kapitalismus wird zu viel produziert. (Schweinezyklus) Da hilft auch keine Stärkung der Kaufkraft. Kaufkraft folgt allein aus der Schöpfung von Mehrwert. Wenn genügend Mehrwert produziert wurde, kann er auch realisiert werden. So wurde in den letzten Jahrzehnten zuwenig Mehrwert produziert. Am besten ist die letzte Wirtschaftskrise an der Autoindustrie zu begreifen. Um denselben Profit zu erzielen, musste eine immer größere Menge von Autos produziert werden. Einerseits wurde das Problem durch Kreditfinanzierung und Leasing in der Produktion und später im Konsum hinausgeschoben. Die panikartigen staatlichen Rettungsmaßnahmen bezogen sich daher neben den Banken vor allem auf die Autokonzerne, die ähnlich den Banken als  „systemrelevant“ gelten. Aber das Problem dieser Überproduktionskrise wird so nicht beseitigt. Viele Autokonzerne werden in der nächsten Zeit die Tore schließen. Die fallenden Profite in der Autoindustrie werden fallende Kaufkraft zur Folge haben. Die Überakkumulationskrise wirkt seit ungefähr 35 Jahren. Hintergrund war das Auslaufen des Nachkriegsbooms. Mit dem Rationalisierungsschub der aufkommenden Mikroelektronik war es jedoch mit dem realwirtschaftlichen Aufschwung vorbei. Die Menge der Waren explodierte, die der benötigten Arbeit implodierte. Ergebnis war eine Überakkumulationskrise, die bis heute anhält. Die fallende Profitrate, die Realwirtschaft hatte keine rentable Anlagemöglichkeit mehr, trieb das  Kapital in die Spekulation, in fiktives Kapital. Mit Erfolg, die Krise wurde aufgeschoben. Der Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten tat sein übriges dazu. Neue Märkte wurden erschlossen und der Sozialabbau konnte ungeniert betrieben werden.  Der Neoliberalismus wurde weltweit zum Programm. Mit illusorischern Kapitalwerten kam man die letzten 30 Jahre über die Runden. Die zunehmende Liberalisierung der Finanzmärkte und die monetaristische Politik der Neoliberalen boten den Ausweg. Mit Hilfe von Grünen und SPD wurde in Deutschland dieses Programm vorangetrieben. Durch das Platzen der Finanzblase wurde das Krisenpotential von drei Jahrzehnten sichtbar.  Als Lösung werden die Regierungen jetzt den Lohnabhängigen ungehemmt schröpfen um die Rettungspakete finanzieren zu können.
Nicht nur marktwirtschaftsgläubige Linke fordern „radikale“ Lösungen (Regulierung der Finanzmärkte), mittlerweile bläst auch Guido Westerwelle in dasselbe Horn. Das Ergebnis dieser Verstaatlichungen  und Investitionsprogramme wird Inflation und Stagflation sein. Mit viel Glück kann der Kapitalismus diese Krise noch „meistern“. Die nächste Blase wird noch katastrophalere Folgen haben wie die noch nicht ausgestandene aktuelle Krise. Die Gewerkschaft Verdi, teilweise offenbar immer noch mit Proudhon verbunden, hat vor einigen Jahren eine Broschüre herausgegeben, Finanzkapitalismus, Geldgier in Reinkultur! Darin geht es um Hedgefonds und andere „Heuschrecken“. Quintessenz dieser Broschüre ist letztendlich die Unterscheidung von gutem „schaffenden Kapital“ und bösem „raffendem Kapital“. Das böse „raffende Kapital“ ist demnach der internationale Finanzkapitalismus. Die Verschmelzung von Produktionskapital und Finanzkapital ist offenbar noch nicht jedem bei Verdi bewusst.
Zeev Sternhell schreibt in seinem Buch, „Die Entstehung der Faschistischen Ideologie: “Die Wurzeln des Faschismus liegen in der radikalen Linken am Beginn des 20. Jahrhunderts. Dessen führende Theoretiker waren ganz überwiegend „rechte Leute von links“, die aus dem revolutionären Syndikalismus hervorgegangen waren.“
Durch den Bruch mit der Marxschen Ökonomie, der Gleichsetzung des revolutionären Subjekts mit der Nation, gaben, die erwähnten Frühsozialisten mit ihren Theorien Anknüpfungspunkte für eine rechte Ideologie (Faschismus, Nationalsozialismus, Antisemitismus), die leider von vielen, auch innerhalb der Linken, kritiklos angenommen wird.

Hermann L. Gremliza schrieb vor 17 Monaten in seiner Kolumne:
Von der Krise ins Chaos

»Wir haben in den Abgrund geblickt.« Täglich, stündlich, zuletzt vor zehn Minuten im Fernsehen bei »Anne Will« repetiert es ein Banker, ein Unternehmer, ein Politiker oder einer ihrer journalistischen Kötelbrummer: Fürchtet euch! Keiner sagt: wovor? Wenn nicht heute noch geschieht, was die Deutsche Bank verlangt oder der Daimler, sei morgen schon alles zu spät. Keiner sagt: wofür? Was wäre denn, wenn ein paar Banken oder Konzerne pleite gingen? Führe der Bus nicht mehr? Gäb’s bei Lidl keine Jogginganzüge aus Ballonseide mehr? Fiele die Heizung aus? Müssten Millionen obdachloser Proleten in Armenküchen ernährt werden? Erlebte man die Anwälte und Zahnärzte beim Abweiden ihrer Golfplätze? Oder ist Weltuntergang und keiner geht hin?
Fangen wir mit den Fragen, gegen alle Usancen, vorne an. Warum haben sich die Bourgeoisien aller Länder mancher Warnung zum Trotz ein Bereicherungssystem geschaffen, dessen Bankrott viele Millionen Menschen ins Unglück stürzen würde? Sie haben es getan, weil sie es konnten. Und warum veranstalten sie den Showdown jetzt? Weil keine Gefahr besteht. Nirgends eine Kraft in Sicht, die reinen Tisch machte mit den Bedrängern und das Heer der Sklaven weckte. Mag sein, es gibt noch drei Kommunisten in Nowosibirsk, zwei in Floridsdorf und einen in Altona. Mit ihnen lässt sich fertig werden.
Was also ist es, das der interessierte Zeitgenosse in diesem Winter erlebt? Da die Verhältnisse sich seit der Geburt des Kapitalismus geradezu vulgärmarxistisch verhalten, folgt einem Aufschwung, in dem der Private sich den Profit aneignet, ein Abschwung, in dem die Gesellschaft die Verluste trägt, in Geld oder Leben. Das Nähere regelt der Staat. Besonders brauchbar dazu galt früher der Krieg. Vom Patriotismus besoffene Massen machen ihre Enteignung zum Kinderspiel.
Nachdem der Weltkrieg von 1914 bis 1918 Leichen aufgehäuft hatte, deren Zahl künftigen Generationen eine Wiederholung wenig attraktiv hätte erscheinen lassen, ersann der Ökonom John Maynard Keynes ein paar Jahre später einen Ersatz: Der Staat solle die Abschwünge mit gepumptem Geld bremsen und seine Kredite im Aufschwung wieder einsammeln. Eine hübsche Idee, mit nur einem Denkfehler: Die vom Wohl-wollen der herrschenden Klasse – in der Demokratie: der Bourgeoisie, in der Diktatur: der Partei – lebenden Politiker können das gespendete Defizit zu keinem Zeitpunkt zurückholen. Das führt von Abschwung zu Abschwung zu einer Vermehrung des Finanzvolumens, die jener der Karnickel gleicht.
Schon vor der jüngsten Krise übrigens hatten Keynes’ Schüler sich schwer getan, überzeugende Beispiele für die segensreiche Wirkung ihrer Methode zu präsentieren. Selbst der Erfolg ihres bis heute liebsten Exempels, des New Deal des demokratischen Präsidenten Roosevelt, war gering. Erst die Rüstungsproduktion beim Eintritt der USA in den Krieg gegen Deutschland beendete ab 1941 die Große Depression, so dass schon zwei Jahre später viele Programmpunkte des New Deal wieder gestrichen wurden. Glücklicherweise erlaubte der Sieg über Hitlers Deutschland, das den Krieg schon deshalb hatte anfangen müssen, weil es wegen seiner »keynesianischen« Ausgaben für Aufrüstung und Wohlfahrt (»Kraft durch Freude«) insolvent war, den Amerikanern, ihre dabei angehäufte Staatsschuld in den Jahren danach zu internationalisieren.
Krieg und/oder Keynes: Im zwanzigsten Jahrhundert jedenfalls war der Krieg die radikalere, aber wirksame Arznei in den Krisen der Akkumulation. Fast immer folgte ihm ein Boom, dem Ersten (wenn auch, der Reparationen wegen, nicht in Deutschland) wie dem Zweiten Weltkrieg und dem Krieg in Korea. Dem Krieg gegen Vietnam schuldete die US-Wirtschaft den »größten Boom der Geschichte« (»Zeit«), den der Staat freilich mit seiner ersten größeren Verschuldung und der 1973 folgenden Kapitulation des goldgedeckten Dollars bezahlen musste.
Die militärische Variante der Konjunkturpolitik wurde obsolet, als die Niederlage gegen Vietnam gezeigt hatte, dass Kriege gegen Staaten, deren militärisches Potential große, konjunkturbelebende Investitionen in die Rüstungswirtschaft verlangt hätte, mit empfindlichen Risiken und Nebenwirkungen verbunden waren. Kriege gegen Kleine wie Grenada oder Nicaragua brachten ökonomisch weniger als nichts, die Kriege gegen die Taliban und gegen Saddam Hussein blieben, so teuer sie den Fiskus zu stehen kamen, konjunkturell weit hinter den Hoffnungen zurück.
Und so denkt in der großen Krise 2008/2009 keiner an Krieg, sondern jeder noch einmal an Keynes, aber an einen im XXL-Format. Unter zehn bis zwölf Nullen vorm Komma wird erst gar nicht mehr gerechnet. Die Staaten verschulden sich mit Billionen Dollar und Euro, damit Banken und Unternehmen jene Geldgeschäfte fortführen können, mit denen sie so weit gekommen sind. Fein, es wird jetzt eine Aufsicht geben, und ein paar der Kettenbriefe, die sie Derivate oder Zertifikate nennen, werden aus dem Verkehr gezogen. Sonst geht mit einer um noch ein paar Billionen aufgeblasenen Geldmenge alles so weiter wie bisher. Wenn es denn jetzt noch einmal weitergeht. Und die Karre wird, nachdem das öffentlich gespendete Geld privatisiert und sicher angelegt ist, erst etwas später um so krachender an die Wand fahren.
Wenn also kein Krieg mehr hilft und auch kein Keynes – was dann? Ein letztes Mal helfen könnte vielleicht das virtuelle Ende eines virtuellen Krieges, mit all den Maßnahmen, die nach dem Zweiten Weltkrieg das beispielhafte »Wirtschaftswunder« begründeten: eine Währungsreform, die das gesamte nicht in Immobilien oder Produktionsmitteln steckende Kapital entwertet, alle Derivate, Zertifikate und andere Kettenbriefe im nächstgelegenen Heizkraftwerk amortisiert, jeden Bürger mit einem einmaligen Handgeld (von damals 40 Mark und morgen vielleicht 4.000 Reform-Euro) und einem vorübergehenden Grundeinkommen von monatlich 500 Reform-Euro an den Start schickt und die Besitzer verbleibenden Vermögens zu einem Lastenausgleich heranzieht: Die nicht ganz so Armen helfen den Ärmsten; die Bourgeoisie bleibt, wie 1945 ff. die Flicks, Quandts, Thyssens, Krupps, Siemens und so weiter, die ja auch über den Winter zwischen Nazizeit und Bonner Republik gekommen sind, und mit ihr die Herrschaft ihrer Klasse.
Das Risiko besteht darin, dass die Massen sich das nicht gefallen lassen. Das Vertrauen in die politischen und gesellschaftlichen Eliten, die diesen Neubeginn zu organisieren hätten, ist in den letzten Jahrzehnten nicht sehr gewachsen. Meldungen wie die, dass sechs von zehn Griechen bei einer Umfrage die derzeitigen Unruhen als »Massenphänomen« und »Volksaufstand« bezeichnen, wird manchem, der da hat, das Herz in die Hosen haben rutschen lassen.
Das haben sie nun von der Entmachtung der Gewerkschaften und der Veralberung der Sozialdemokratie. Wie schon einmal, als eine angesehene Interessenvertretung gebraucht wurde, die Proleten bei der Stange zu halten, wird es auch jetzt oder in ein paar Jahren wieder nur zwei Milieus geben, bei denen der Arbeitslose sich aufgehoben fühlen wird: ganz rechts und ein bisschen links, bei den Nazis und der Linkspartei. Sollte die deutsche Bourgeoisie nicht nach 75 Jahren ein zweites Mal wagen, die faschistische Variante zu wählen, wird sie sich mit den letzten der Sozialdemokraten arrangieren müssen, die eine Chance haben, ihren kleinen Leuten die Kosten der Sanierung des Kapitalismus in erträglichen Portionen aufzuladen. Wenn sie schreiten Seit an Seit, der Mann der Kasse mit dem Mann der Masse, Ackermann mit Lafontaine, zieht mit ihnen die neue Zeit. Gemeinsam wären sie unaus- und unwiderstehlich.
Ende der Geschichte. Nicht zu verwechseln mit dem 1992 von Francis Fukuyama angekündigten, sondern das Gegenteil. (Konkret 01/09)